Venedigs Barock-Superstar und seine "Vier Jahreszeiten"

von Elke Galvin Mai 28, 2024 • 9 Min. Lesezeit
"Die Vier Jahreszeiten" sind kommerziell so erfolgreich wie kaum ein anderes Barockwerk: Ausverkaufte Konzerthallen, Goldene Schallplatten und viele Fans weltweit - hättest du vermutet, dass diese Konzerte jahrhundertelang ebenso vergessen waren wie ihr Komponist Antonio Vivaldi? Du kannst diese Violinkonzerte auch auf dem Klavier spielen. Alles, was du dazu brauchst, findest du hier.
Vivaldi - die Vier Jahreszeiten
Erfahre hier alles über Ruhm, Glanz und Tragik der Vier Jahreszeiten, Op. 8, RV 297 von Antonio Vivaldi. Lerne, vor welchem historischen Hintergrund der "Rote Priester" sein Meisterwerk komponierte und warum es seiner Zeit weit voraus war (und heute so beliebt ist!). Eine genaue musikalische und inhaltliche Analyse der 12 Sätze sowie einfache bis schwierige Klaviernoten sind ebenso inkludiert wie diverse memorable Interpretationen.
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Antonio Vivaldi - das Leben des "Roten Priesters"

Heute kennen wir Antonio Vivaldi (1678 - 1741) als einen der größten Komponisten des Barock. Aber das war nicht immer so. Noch im 19. Jahrhundert war er fast unbekannt, sein Werk verschollen. Erst rund um das frühe 20. Jahrhundert wurde sein Werk wiederentdeckt. Aber zu Lebzeiten war Vivaldi eine Legende...

Superstar des Barock

Die drei Superstars des Barock waren Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel und Antonio Vivaldi. Bach war seine Karriere als Mitglied einer berühmten Musikerdynastie in Deutschland praktisch in die Wiege gelegt worden. Händel lernte gegen den erbitterten Widerstand seiner Eltern heimlich Klavier und emigrierte schließlich nach England. Aber das wohl erstaunlichste Leben hatte ihr 20 Jahre jüngerer italienischer Kollege.

Geboren in Venedig, erhielt Antonio Vivaldi von seinem Vater Unterricht in Komposition und Geige (Klavier gab es damals noch keines) und tourte danach als virtuoses Wunderkind an der Violine nicht nur im Raum Italien, sondern auch in deutschsprachigen Landen. Statt sich auf seinem Ruhm auszuruhen, ließ er sich allerdings mit 25 Jahren zum Priester weihen. Jeder in der Region kannte den rothaarigen Priester und Musiker unter seinem Spitznamen "Prete Rosso" (Roter Priester).

Seine Aufgabe wurde es, Mädchen in einem Waisenhaus in Musik zu unterrichten. 30 Jahre lang tat er das höchst erfolgreich. Er bildete die Waisenmädchen nicht nur aus, er betreute Chor und Orchester des Waisenhauses und komponierte eine Unmenge für sie - Konzerte, Kantaten, Choralwerke und weitere Chor- und Orchesterwerke. Natürlich wurde auch diese von ihm betreute Einrichtung berühmt und unternahm sogar Tourneen! Vivaldis Ruf verbreitete sich in ganz Europa. Sogar vor dem Papst spielte er auf. In Prag wurden zwei seiner Opern uraufgeführt. Er erhielt Kompositionsaufträge von diversen Adelshäusern.

"Frühling" in der Oper

Zu Zeiten Vivaldis waren Opern der Mittelpunkt der Unterhaltungsindustrie. Auch hier wollte Vivaldi Erfolge verbuchen. Er begann, eine Unmenge an Opern zu komponieren, entwickelte ein Gespür für Effekte und Dramatik. Diese wurden tatsächlich sehr beliebt und machten ihn noch berühmter. Er trat eine Stelle als Hofkapellmeister in Mantua an und galt auf dem Höhepunkt seines Ruhms als wichtigster Impresario in Europa. In einer seiner Opern kam eine hübsche Melodie vor. Sie gefiel ihm so gut, dass er sie dazu verwendete, die Grundlage für sein berühmtestes Violinkonzert zu legen: Das Hauptmotiv des "Frühling" aus den "Vier Jahreszeiten". Die anderen drei "Jahreszeiten" komponierte er dann gezielt für sein Werk.

Tod und Vergessen

Österreichs Kaiser Karl VI traf Vivaldi in Triest und wurde zum Fan des Roten Priesters. Er schlug ihn zum Ritter und lud in an den Hof in Wien ein. Vivaldi wollte vermutlich wirklich Hofkomponist in Wien werden - denn in Venedig hatte sein Leben eine tragische Wende genommen. Hier galt seine Musik inzwischen als unmodern. Vivaldi zog also voller Hoffnung nach Wien. Aber noch bevor er in Amt und Würden war, ereignete sich der nächste Schicksalsschlag. Der Kaiser starb - und mit ihm Vivaldis Aussichten auf die bezahlte Stelle bei Hof. Verarmt starb er nur rund ein Jahr nach dem Kaiser in Wien. Sein Grab stand an der Stelle der heutigen Technischen Universität Wien.

Zur Zeit der Klassik und Romantik geriet sein umfangreiches Werk in Vergessenheit. Erst die Impressionisten entdeckten ihn 200 Jahre nach seinem Tod neu.


Die Vier Jahreszeiten Op. 8, RV 297

"Die vier Jahreszeiten" ist eine Sammlung von vier Violinkonzerten. Jeder Teil drückt musikalisch jeweils eine bestimmte Jahreszeit aus. Komponiert rund um 1720, als Vivaldi in Mantua wirkte, wurden sie 5 Jahre später in Amsterdam veröffentlicht. Damals hieß das Werk "Das Wagnis von Harmonie und Erfindung" und enthielt noch weitere Konzerte, etwa "Der Sturm auf dem Meer", "Das Vergnügen" und "Die Jagd".

Diese Kompositionen vereinigen wie keine andere Vivaldis Stärken: Als virtuoser Violinist weiß er genau, welche Melodien auf der Geige umsetzbar sind. Und als Opernkomponist kennt er sich mit effektvoller Musik aus.

Erstmals drückt nun ein Komponist Stimmungen, Szenen, Begebenheiten und Wetterlagen in seiner Musik aus. Bach oder Händel wäre der Gedanke nicht gekommen, etwa diverse Vogelarten, betrunkene Tänzerinnen und Tänzer oder Hundebellen musikalisch darzustellen. Vivaldi gilt daher als Vorläufer der Programmmusik, und es ist faszinierend, dass man heutzutage, 300 Jahre später, nach wie vor versteht, was der Komponist ausdrücken wollte.

Wie wichtig es Vivaldi war, dass man genau nachvollziehen konnte, was jeweils dargestellt werden sollte, erkennt man auch daran, dass er auch jeweils zu den Solo-Violinstimmen gehörende erklärende Sonette veröffentlicht hatte.

Dauer und Aufbau des Werks

  • Die Aufführung aller vier Konzertteile dauert etwa 40 Minuten. Dabei entfallen jeweils
    • 10 Minuten auf den Frühling,
    • 11 Minuten auf den Sommer,
    • 11 Minuten auf den Herbst und
    • 9 Minuten auf den Winter.

Jedes dieser vier Konzerte besteht wiederum aus drei Sätzen. Diese sind - vielleicht überraschend für eine so programmatische Komposition - musikalisch sehr klar strukturiert:

  1. Satz: Meist mit einem eingängigen, auf verschiedenen Stufen wiederkehrenden Refrain, der mit Solo- und Orchesterstellen abwechselt.
  2. Satz: Eine zweiteilige Arie für die Violine, mit Wechsel in die Dominante oder parallele Dur, und Rückkehr im 2. Teil. Das Orchester begleitet mit einem durchgehenden Motiv.
  3. Satz: Hat oft tänzerische Züge, oft Dreiertakt, sehr eingängig.
Der Frühling - Vivaldi

Musikalisch analysiert: "Der Frühling"

Die Originaltonart des Concerto No. 1 La Primavera ist E-Dur. Es besteht aus den Sätzen

  • I Allegro 4/4-Takt: Du hörst Vogelgezwitscher, gespielt von 3 solistischen Violinen über einem Orgelpunkt in E-Dur. Danach spielt das Orchester - man hört sanfte Winde, plätschernde Bächlein, Idylle. Danach bricht ein Gewitter, gespielt von der virtuos "blitzenden" Solovioline, aus. Zum Abschluss wird das Frühlingsmotiv wiederholt.
  • II Largo cis-Moll, 3/4 Takt: Du "hörst" eine Blumenwiese, auf der ein Ziegenhirte schläft, sein Hund bellt, und ruht dann neben ihm. Die Gräser und Blätter rauschen im Wind.
  • III Allegro, 12/8-Takt: Du hörst ausgelassen tanzende Nymphen und Hirten, ein Dudelsack spielt, Vögel zwitschern, alles in wunderschöner Frühlingslandschaft.

Der Frühling" - Noten für Klavier

Du findest Noten für Klavier in jedem Schwierigkeitsgrad. Je besser du bereits spielst, desto komplexer dürfen die Arrangements sein. Wenn du als Anfänger eine genaue Anleitung brauchst, hilft dir dieses "La Primavera"-Tutorial Schritt für Schritt.

  • Das anspruchsvollste "Primavera"-Arrangement (Level 71) ist gleichzeitig virtuos und klingt bezaubernd - nur für erfahrene Pianisten! Diese Version ist richtig für dich, wenn dir die Version im Video (oben) gefallen hat und die entsprechend virtuos spielst.
  • Etwas leichter ist diese Ricordi-Version (Level 64)
  • Dieses vereinfachte Arrangement (Level 33) ist bereits für Anfänger nach etwa 1-2 Jahren Unterricht geeignet.
  • Das einfachste Arrangement ist mit Level 18 auch sehr bald in der Klavier-Karriere spielbar. Wenn du noch gar nicht Klavier spielen oder Noten lesen kannst, starte mit einem OKTAV Kurs, und lerne alles, was du brauchst, um es in kurzer Zeit zu spielen.
Der Sommer

Musikalisch analysiert: "Der Sommer"

Die Originaltonart des Concerto No. 2 L´Estate ist durchgehend g-Moll. Es besteht aus den Sätzen

  • I Allegro non molto, 3/8-Takt: In brütender Hitze ruht die Herde - dargestellt durch matte, schleppende Akkorde. Du hörst deutlich den Kuckuck, die Turteltaube und den Finken. Dann frischt der Nordwind auf - der Schafhirte bekommt Angst vor einem heranziehenden Sommergewitter.
  • II Adagio, 4/4-Takt: Nun beginnt das virtuos gespielte Sommergewitter. Einige Fliegen und Mücken fliegen durch die schwüle Luft, aber einige Blitzschläge sind schon zu spüren.
  • III Presto, 3/4-Takt: Jetzt bricht das Sommergewitter voll aus. Die Himmel öffnen sich, es hagelt, regnet, blitzt und donnert. Dargestellt wird dieses Wetter-Inferno durch rasante Tonleitern, Arpeggios und Tonwiederholungen.
Der Herbst-Vivaldi

Musikalisch analysiert: "Der Herbst"

Die Originaltonart des Concerto No. 3 L´Autunno ist F-Dur. Es besteht aus den Sätzen

  • I Allegro, 4/4-Takt: Du hörst ein schlichtes bäuerliches Trinklied beim Erntedankfest, beschwingt wiederholt von der Solovioline - mit Doppelgriffen. Die Dorfbevölkerung tanzt, der Wein fließt. Die Sprünge auf der Violine werden gewagter. Dann schlafen die Tänzer nach und nach ein. Das Anfangsmotiv beschließt diesen Satz.
  • II Adagio molto, 3/4-Takt in d-Moll: Möglicherweise haben zur fortgeschrittenen Stunde einige Angehörige der Dorfbevölkerung etwas zu viel erwischt und schlafen im lauen Wind - die Sologeige bleibt stumm. In Akkorde eingebettet beginnt eine zartverträumte Melodie in den ersten Geigen.
  • III Allegro, 3/8-Takt: Du hörst den Aufbruch der Jagdgesellschaft zur Jagd, mit Hörnern, Gewehren und Hunden - das Reiten über Hügel und durch Wälder und das Hetzen des Wilds. Das Wild versucht zu entkommen, ermattet aber durch die wilde Flucht und wird schließlich erlegt.

Für den ersten Satz des "Herbst" gibt es für Klavier wieder Noten unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. Auch leichte Klaviernoten, die sehr gut für Anfänger geeignet sind (ab Level 17) .

Der Winter - Vivaldi

Musikalisch analysiert: "Der Winter"

Die Originaltonart des Concerto No. 4 L´Inverno ist f-Moll. Es besteht aus den Sätzen

  • I Allegro non molto, 4/4-Takt: Du hörst klirrende Kälte - musikalisch gestaltet aus starr wiederholten Staccati und Septakkorden. Eis, Schnee, eiskalter Wind - dargestellt durch die Solovioline. Die Zähne klappern schließlich mit lauter Sechzehnteln vor Kälte! Um warm zu bleiben, muss man sich ständig bewegen, mit den Füßen aufstampfen.
  • II Largo 4/4-Takt, Es-Dur: Aber im Haus vor dem Feuer ist es warm und gemütlich. Zufrieden verbringt man dort so manchen Wintertag, während die Geigen draußen beständig pizzicato regnen.
  • III Allegro: Schlittschuhlaufen - da gleitet jemand über das Eis, rutscht aus, fängt sich, fällt, steht wieder auf. Er wird immer wagemutiger. Und pfeift der Nordwind in der Sologeige dann noch so eisig - auch Winter hat seinen Reiz.

Für den "Winter" gibt es einfache Klaviernoten ab Level 24. Um unkompliziert auf deine Klaviernoten zuzugreifen, kannst du die OKTAV iOS-Notenapp direkt auf dein Handy oder iPad downloaden.

Erfolg und internationale Interpreten der "Vier Jahreszeiten"

Die ersten Tonaufnahmen dieses Werks datieren rund um das Jahr 1940 und stammen aus Italien und Frankreich. Weitere bekannte Aufnahmen und Auszeichnungen:

  • Die erste Aufnahme in der Carnegie Hall stammt aus dem Jahr 1949, Solist war Louis Kaufman. Diese Aufnahme verhalf den "Vier Jahreszeiten" international wieder zu Popularität. 2002 wurde diese Aufnahme in die Grammy Hall of Fame aufgenommen.
  • Das Ensemble I Musici nahm das Werk in einer Zeit zwischen 1955 und 1995 mehrmals auf, unter anderem in Venedig.
  • Die Academy of St. Martin in the Fields, dirigiert von Sir. Neville Mariner und Solist Alan Loveday wurde für eine Aufnahme des Werks 1969 mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet.
  • Nigel Kennedys Aufnahme mit dem English Chamber Orchestra aus dem Jahr 1989 wurde zu einer der meistverkauften Klassik-Aufnahmen aller Zeiten, mit über 3 Millionen Verkäufen.
  • Anne-Sophie Mutter solierte zusammen mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan und begeisterte 1994 mit einer temperamentvollen Interpretation.
  • Unzählige weitere Musiker der Klassik-Szene nahmen eines oder alle Konzerte der "Vier Jahreszeiten" auf, vielfach adaptiert als Crossover oder gemixt:

Im Film



AUTORIN
Elke Galvin
Elke Galvin ist britisch-österreichische Sängerin und Multiinstrumentalistin. Sie arbeitet seit über 25 Jahren sowohl als Musikerin als auch als Journalistin. Sie ist nicht nur Songwriterin, sondern liebt es auch, über Musik zu schreiben! Ihre Leidenschaft ist es, Musiktheorie leicht verständlich zu machen, über Musikstile zu schreiben, über Musik und das Gehirn, und darüber, wie man Spaß am Lernen und Spielen von Musik hat.

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