Bohemian Rhapsody: 6 geniale Minuten, die alle Genre-Grenzen sprengen

von Elke Galvin Mai 14, 2024 • 7 Min. Lesezeit
Fast 50 Jahre alt ist "Bohemian Rhapsody", jener Queen-Song der Superlative, der sich jeder Einordnung in eine Genre-Schublade entzieht. Vorhergesagt wurde der Band, dass der 6 Minuten lange emotionale Gewaltritt aus Drama, Leidenschaft und Verdammnis niemals im Radio gespielt würde - mittlerweile ist er der meistgestreamte Song des 20. Jahrhunderts. Hier liest du seine wahre Geschichte, erfährst Faszinierendes zu Musik & Lyrics - und für Klavierspieler gibt es die Noten.
Bis heute sprengt "Bohemian Rhapsody" sämtliche Grenzen von musikalischen Erwartungen. Nicht zufällig nannte Queen auch ihr filmisches Biopic so - nach ihrem Opus Magnus. Hier erfährst du nicht nur die Geschichte des Jahrhundert-Hits, sondern auch, was du musikalisch beachten musst: Tonarten, Takt, Lyrics und Form werden erklärt - und: was hat es eigentlich mit "Scaramouche" oder "Fandango" auf sich? Finde es heraus!
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Die Entstehung von "Bohemian Rhapsody"

"Bohemian Rhapsody" war die erste Single des legendären Queen-Albums "A Night at the Opera" (1975). Den Anfangsteil des Songs soll Queen-Frontman Freddie Mercury bereits in den 1960er-Jahren geschrieben haben. Er gab ihm den Arbeitstitel Cowboy-Song: "Mama, just killed a man...".

Bereits Anfang der 1970er-Jahre hatte Freddie dann die Idee, diesen Teil mit einer Opernparodie zu kombinieren, aber noch keine genaue Vorstellung davon, wie diese aussehen sollte. Ursprünglich war nur ein Einschub von wenigen Sekunden angedacht.

Im Jahr 1974 kritzelte er in einem Flugzeug weitere Songzeilen auf einen Notizblock. In diesem Entwurf trug der Song den Titel Mongolian Rhapsody. Allerdings gefiel dies Freddie bereits vor der Landung nicht mehr. "Mongolian" wurde durchgestrichen und durch "Bohemian" ersetzt.

Aufgenommen wurde der Song schließlich 1975 in 5 (!) verschiedenen Tonstudios über einen Zeitraum von 3 Wochen hinweg. Fun Fact: Auf der Aufnahme spielt Freddie auf jenem Bechstein-Klavier, auf dem Paul McCartney bereits "Hey Jude" eingespielt hatte (und das auch auf David Bowies Platte "Hunky Dory" zu hören ist).

Aufgenommen wurde 3 getrennte Teile: Die Ballade, der Opernteil und der Hardrockteil. Im Opernteil wurden rund 180 Overdubs (Stimm-Überlagerungen) aufgenommen - rund 12 Stunden lang sangen Freddie, Gitarrist Brian May, und Drummer Roger Taylor. Die höchsten Töne auf der Aufnahme singt Taylor. Ebenfalls von den Kritikern gelobt ist Brian Mays Gitarrensolo im Hardrock-Teil. Es greift nicht das Thema der Gesangsstimme auf, sondern entwickelt ein eigenes, kontrastierendes Solothema.

"Bohemian Rhapsody" musikalisch analysiert

Dieser Progressive/Symphonic-Rock-Song ist in mehrfacher Hinsicht musikalisch ungewöhnlich: Er ist mit knapp 6 Minuten Dauer sehr lang, hat keinen Refrain und kombiniert erfolgreich 4 extrem gegensätzliche Genres: A-capella-Chor, Klavierballade, Oper und Hardrock.

Songstruktur

"Bohemian Rhapsody" besteht aus 5 übergangslos aneinandergereihten Teilen: Intro - Klavierballade - Bombast-Oper - Hardrock (Vocals/Solo) - Ende (Balladen-Reprise).

Takt & Rhythmus

Die Taktart ist zum größten Teil 4/4, teilweise gibt es Einschübe im 5/4-Takt im A-capella-Teil.

Tonart, Akkorde

"Bohemian Rhapsody" ist in B-Dur geschrieben. In der Folge kommen alle Akkorde der B-Dur-Tonleiter zum Einsatz:

Akkorde von Bohemian Rhapsody

Intro

Das a capella Intro, gesungen im fünfstimmigen Chor von Freddie, Brian May und Roger Taylor beginnt in der Haupttonart B-Dur. Nach ca. 20 Sekunden setzt eine zurückhaltende, akzentuierende Klavierbegleitung ein. Im Stereo-Modus kommen die Stimmen bei "Easy come, easy go, little high, little low..." abwechselnd von links und rechts aus den Lautsprechern, um die unwirkliche, traumhafte Qualität dieses Teils zu unterstreichen. Der Song moduliert kurzzeitig zu Es-Dur, und leitet damit über zur...

Klavierballade

Der Balladenteil, der aus 2 Strophen besteht beginnt mit zwei Takten Arpeggio in B-Dur auf dem Klavier. Zeitgleich setzt die Bass-Begleitung von John Deacon ein und verleiht diesem emotionsgeladenen Teil Tiefe. Dann beginnt ausdrucksstark Freddie Mercurys Sologesang. Als Protagonist gesteht er seiner Mutter einen Mord. Auf dem Höhepunkt des ersten Teils dieser Strophe beginnt Roger Taylors Schlagzeugspiel.

Brian Mays E-Gitarre setzt in der Mitte der zweiten Strophe ein, zu Beginn der zweiten "Mama"-Rufe. Ein Gitarrensolo leitet ab dem Ende der zweiten Strophe über zum Opern-Teil in A-Dur.


Der Opern-Teil

Zwei Takte gleichmäßiger Viertelnoten in A-Dur auf dem Klavier leiten den Opern-Teil ein, der tonal rund um das verminderte A (siehe Tonleiter) kreist - ein vielstimmiges Inferno aus Fragen und Antworten. Der schnelle Puls dieses Teils läuft gleichmäßig durch. Im Kontrast dazu wechseln sich Freddies Solostimme mit Klavierbegleitung und der vielstimmige Chor mit Bandbegleitung in ständiger schneller Folge ab (zur Lyrics-Analyse findest du weiter unten mehr). Einstimmig kehrt man dann mit "Beelzebub has a devil put aside for me!" wieder zu B-Dur zurück. Die folgenden Steigerungen kulminieren am Ende dieses Teils, als Roger Taylors Stimme das B in der 5. Oktave erklimmt:

Roger Taylors B5

Der Hardrock-Teil

Eine der beliebtesten Szenen aus der Komödie "Wayne's World" (1992) war die Überleitung vom Opernteil zum Hardrock-Teil: Ein mehrmals wiederholtes heavy Gitarrenriff leitet diesen Hardrock-Teil ein, in dem das Klavier nicht zu hören ist. Auch Freddie Mercurys Rockstimme in diesem Teil ist verzerrt. Nach der Wiederholung des Riffs folgen drei schnelle, aufsteigende Läufe auf der stark verzerrten E-Gitarre.

Das mit einem gewaltigen Ritardando wieder einsetzende Klavier leitet in B-Dur zum Schlussteil, zur Reprise des Klavierballaden-Themas, über.

Schlussteil/Reprise

Freddie Mercury spielt einige Arpeggios in B-Mixolydisch. Danach moduliert der Song zwischen Es-Dur und c-Moll, ständig von Brian Mays charakteristischem zweistimmigen Gitarrenspiel untermalt. Die Arpeggios in Moll klingen nach Resignation, der letzte Akkordwechsel auf Es-Dur lässt glauben, der Song sei vorbei - doch zuletzt erklingt versöhnliches. akzeptierendes F-Dur und ein fünfstimmiges "Any way the wind blows...".


Das Geheimnis der Lyrics von "Bohemian Rhapsody"

In den Lyrics gibt es keine klare Geschichte. Dies passt inhaltlich zur Musikform einer "Rhapsodie", engl. "Rhapsody". Diese ist definiert als ein Musikstück, das keine spezielle Form hat, dessen musikalische Themen nur lose oder gar nicht miteinander verbunden sind (siehe auch z.B. George Gershwins Rhapsody in Blue)

Wie in einem Opernlibretto ist die "Handlung" der Bohemian Rhapsody reichlich verworren. Motive von Trauer, Reue, Streit, Verdammnis, Erlösung, Nihilismus und Rache wechseln einander ab - in diesem Kontext bezieht sich das "Bohemian" im Titel wohl treffend auf die soziokulturelle Bewegung im Frankreich des 19. Jahrhunderts, die starken Wert auf Individualismus und das Ausleben eines unkonventionellen Lebensstils legte.

Text-Motive

  • Ist das Leben real oder ein Fantasiekonstrukt?
  • Ein junger Mann beichtet seiner Mutter voller Reue, dass er einen Mord begangen hat und nun fliehen muss, sein Leben sein sinnlos geworden.
  • Die Opernpassage ist ein Gewirr aus Stimmen. Man (Engel?) sitzt mutmaßlich über den Mörder aus den vorangegangenen Strophen zu Gericht. Es gibt zwei streitende Fraktionen und den Protagonisten, der sich rechtfertigt. Ohne nennenswerten Zusammenhang fallen die Begriffe Scaramouche (eine Clownfigur aus italienischen Komödien des 16. Jahrhunderts, traditionell weiß geschminkt, schwarz gekleidet und mit Spitzbärtchen), die Aufforderung, den Fandango (einen spanisch-portugiesischen Kastagnettentanz im 3/4-Takt) zu tanzen, Galileo (Galilei, der italienische Astronom) und Figaro (möglicherweise eine Anspielung auf die gleichnamige Mozart-Oper). Zuletzt soll der Protagonist von manchen der Stimmen offenbar in die Hölle zu "Beelzebub" (einem Teufel bzw. Dämonen) geschickt werden. Die andere Fraktion will ihn aber unter "Bismillah"-Rufen ("Im Namen Gottes!" auf Arabisch) nicht gehen lassen.
  • Ein Betrogener sinnt auf Rache
  • Am Ende ergibt sich der Protagonist in die Unabwägbarkeit seines Schicksals

Wilde Spekulationen

Bezüglich der Interpretation der Lyrics gab es Spekulationen, die von vermuteten persönlichen Traumata Freddie Mercuries bis zur Inspiration durch Albert Camus`Roman "Der Fremde" reichen. Wieder andere vermuten eine an Goethes Faust erinnernde Geschichte (jemand hat seine Seele dem Teufel verkauft). Mancherorts hieß es, es handle sich um die letzten Minuten eines zum Tode verurteilten Gefangenen. Queen selber äußerte sich nicht dazu.

"Unsinn, der sich zufällig rhythmisch passend reimt".

So praktisch-nüchtern erklärte Freddie Mercury selbst gelegentlich die Lyrics.


Der Erfolg von "Bohemian Rhapsody"

Kein anderer Progressive-Rock-Song der 1970er Jahre erreichte auch nur annähernd den Erfolg von "Bohemian Rhapsody" - weder in kommerzieller noch in musikalischer Hinsicht noch gemessen an der weltweiten Beliebtheit. Hier einige Superlative:

  • Bereits beim Erscheinen der Single als Auskoppelung des 1975 erschienenen Queen-Albums "A Night at the Opera" toppte sie wochenlang weltweit die Charts.
  • Dies sollte sich 1991 nach dem Tod von Freddie Mercury wiederholen.
  • In den USA führte der Film "Wayne's World" 1992 zu einer neuerlichen Rückkehr an die Chartspitze.
  • 2018 pushte das gleichnamige Film-Biopic "Bohemian Rhapsody" erneut an eine Top-Chartposition.
  • Kein im 20. Jahrhundert geschriebener wurde öfter gestreamt
  • 2021 wurde der Song als einer der Allzeit-Bestseller in den USA ausgezeichnet ("certified diamond status").
  • Der Song ist der drittmeistverkaufte Song aller Zeiten im UK (hinter "Candle in the Wind" und "Do They Know It's Christmas?")
  • Freddies Gesang wurde im Rolling Stone-Magazin zur besten Gesangsleistung in der Geschichte des Rock gekürt.
  • im selben Magazin wurde der Song 2021 auf Platz 17 der besten Songs aller Zeiten gewählt.
  • "Bohemian Rhapsody ist einer der längstdauernden Hits der Rock- und Pop-Geschichte (zusammen mit "American Pie", "Hey Jude" und einigen anderen)
  • 2012 wurde der Song zum beliebtesten Song Großbritanniens gewählt.
  • Das Musikvideo zum Song setzte neue Maßstäbe im gerade entstehenden Genre Song-Videoproduktion.

"Bohemian Rhapsody" auf dem Klavier spielen

Komplette Klavier-Anfänger haben mit diesem hochkomplexen Stück vermutlich noch nicht viel Freude. Du solltest ein Minimum von 2-3 Jahre Klavier-Erfahrung mitbringen.

Auf OKTAV findest du die Bohemian Rhapsody sowohl als Leadsheet (Text, Akkorde, Klavierbegleitung) als auch als Arrangement für Soloklavier. Die anspruchsvolle offizielle Notenversion (Leadsheet, Level 60) verlangt dir als Pianist*in einiges ab, die einfachste Version für Solo-Klavier beginnt ab Level 44.



AUTORIN
Elke Galvin
Elke Galvin ist britisch-österreichische Sängerin und Multiinstrumentalistin. Sie arbeitet seit über 25 Jahren sowohl als Musikerin als auch als Journalistin. Sie ist nicht nur Songwriterin, sondern liebt es auch, über Musik zu schreiben! Ihre Leidenschaft ist es, Musiktheorie leicht verständlich zu machen, über Musikstile zu schreiben, über Musik und das Gehirn, und darüber, wie man Spaß am Lernen und Spielen von Musik hat.

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